Fuji - san 
(erschien im Jahresheft des Deutschen Alpenvereins , Sektion Altenburg 1999)

Aufstieg zum höchsten Berg Japans

Bergsteigen und Bergwandern, eine unserer liebsten Freizeitbeschäftigungen, hat uns schon in viele Regionen der Erde in Europa, Asien und Amerika geführt. Manchmal waren wir als Bergsteigergruppe des Sportvereins, mit Freunden oder auch privat mit der Familie unterwegs. Neben dem eigentlichen Genuß des „Gipfelglückes“ und dem Aufenthalt in der Natur bringen Bergtouren in entfernte  Gegenden der Welt den weiteren Vorteil, andere Länder und  Kulturen ein wenig kennen zu lernen. Die bäuerlichen Landschaften, die Städte, die kulturellen Sehenswürdigkeiten, ja selbst die profanen Dinge von der Speisekarte bis zur Toilette sind interessant und sehenswert. Nicht weniger beeindruckend ist die Begegnung mit den Menschen, die uns einerseits so fremd und doch wieder so verwandt anmuten.
    Diesen Sommer hatten wir, dh. meine Frau Hella, unsere Tochter Elisabeth und ich, uns einen der berühmtesten Berge der Welt, nämlich den Fuji – san, in dem für uns recht ungewohnten Land Japan vorgenommen. Neben der Besteigung des Fuji wollten wir noch einen Streifzug durch das Inselland per Bahn und Jugendherbergen machen. Schon der Aufenthalt in irgendeinem Ort Japans ohne dieses Bergziel wäre spannend genug, um einen längeren Erlebnisbericht zu füllen.  In Deutschland wird der höchste Landesberg meist mit Fudschiyama(yama-Berg) bezeichnet in Japan nennt man ihn  Fuji-san. Rein alpinistisch gesehen, ist der Fuji ein unspektakulärer Berg, außerdem der am meisten bestiegene Gipfel der Welt (mit einer Höhe von Bedeutung). Jeder, der laufen und steigen kann, kann den Gipfel erreichen. Lediglich, wie bei allen Bergen dieser Größenordnung, treten in Höhen von fast 4000 m gelegentlich leichte Höhenbeschwerden auf. Die Vorbereitung auf die Besteigung war deshalb vor allem organisatorischer Art, weil notwendige Informationen über Anfahrt, Aufstieg und Unterkunft nicht ohne weiteres in deutsch zu haben sind. Selbst mit Englisch erreicht man nicht alles, ein paar Japanischkenntnisse waren dabei schon hilfreich. Außerdem fand ich einige nützliche Informationen im Internet.
   Zum Gipfel des Fuji führen insgesamt fünf verschieden Routen. Die klassische Route führt, aus Richtung Tokyo kommend, von Kawaguchiko (Region der fünf Seen) und der Station go-go-me hinauf. Diese Gegend ist historisch bekannt auch durch die neunundvierzig Fuji - Ansichten des Malers Hokusei. Wir hatten schon beim Landeanflug auf Tokyo - Narita vom Flugzeug aus den ersten Blickkontakt zum Fuji. Danach sahen wir ihn nochmals beim „Vorbeirauschen“ aus dem Shinkansen - Expreß und später schimmerte er uns wieder verlockend von einem Badeort an der Küste der Halbinsel Izu übers Meer herüber - und jedesmal waren wir von seinem Anblick fasziniert.
   Wir näherten uns jedoch dem Fuji mit dem Shinkansen – Superexpress aus Richtung  Osaka / Kyoto, und somit bot sich der Aufstieg von der Meeresseite an. Wir stiegen dann in der Station Fuji auf einen Regionalzug um und hielten uns noch einen Tag in der Stadt Fujinomiya  auf. Von dort konnten wir den Berg aus nächster Nähe bewundern. Am meisten besticht seine Ästhetik aber von weitem, besonders seine gleichmäßige etwas leicht asymmetrische Kegelform.

   In der Stadt  Fujinomya war trotz des günstigen Ausgangsorts zum Berg eigentlich recht wenig vom Tourismus oder vom Bergsteigerstrom zu sehen. Es gelang mir z.B. nur sehr mühsam, überhaupt eine Ansichtskarte aufzutreiben. Wenn man sich dagegen Garmisch oder Berchtesgaden vorstellt, ist man etwas erstaunt.
   Am Morgen des 2. August standen wir am Busplatz der Stadt und warteten zusammen mit einigen wenigen Japanern in Wanderkleidung auf den Bus, der uns an den Ausgangspunkt unseres Fußmarsches zur Station Shin-go-go-me in 90 minütiger Fahrt bringen sollte. Als Gepäck führten wir zu dritt lediglich einen Rucksack mit etwas Kleidung und Proviant und große Getränkeflaschen mit uns. Im Bus während der Fahrt wurde im eingebauten Fernseher ein Video abgespielt, der über Verhaltensweisen am Berg informierte (natürlich auf japanisch).
   An der Ausgangsstation in einer Höhe von 2400 m kam der Bus schon nicht mehr so recht vorwärts, weil lange Schlangen von geparkten Autos den Weg einengten. Die Ausgangshöhe ist gleichzeitig die Baumgrenze. Man konnte bis zum Gipfel hinaufsehen und wie immer in den Bergen, dachte man, der Gipfel wäre schon zum Greifen nahe. Trotzdem trennten uns noch mehrere Stunden Fußmarsch, angegeben mit 4 – 5 Stunden. Da wir aber gemeinsam mit unserer 10 - jährigen Tochter gehen wollten, rechneten wir für uns mit der doppelten Zeit. Es führt ein nicht zu verfehlender Weg in Serpentinen nach oben, der von der Talebene bis zum Fuji-Gipel durch 10 Stationen unterbrochen wird. (Die Station Shin-go-go-me ist bereits die fünfte Station.) Diese Stationen sind meist kleine Rast – oder Berghütten, wo man etwas zu sich nehmen kann und auch, aber nicht in allen, übernachten kann.
   Es war 10 Uhr, als wir losgingen, und es war ausgezeichnetes Wetter. Der Weguntergrund besteht im wesentlichen aus lockerem, schwarzen Vulkangestein und eben solchem Staub. An den Seiten sind Begrenzungsseile gespannt.
   Eine Besonderheit der Fuji - Besteigung im Vergleich zu jedem anderen Bergaufstieg in der Welt ist die Personenzahl, die gleichzeitig dasselbe Ziel hat. Es ist eine wahre Massenprozession, hinauf wie hinunter. Eine unermeßlich große Anzahl von Bergsteigern und Bergwanderern, aber wohl auch vom Shintoismus, der japanischen Ahnen- und Naturreligion, motivierten Menschen strebt in langen Reihen dem Gipfel entgegen, denn am Gipfelkrater befindet sich ein Schrein mit einem Torii, also ein Heiligtum der japanischen Ahnenreligion. Es heißt, daß pro Jahr etwa 1 Million Japaner den Fuji erklimmen, und fast alle in den zwei zulässigen Sommermonaten vom 1. Juli bis zum 31. August.
   Während unseres  Aufstiegs waren wir also nicht allein, es gingen viele mit uns, und viele kamen wieder von oben herab, so daß man beim Gehen ab und zu beiseite treten mußte, um Leute vorbei zu lassen. An engen Stellen gab es sogar kleinere Staus, die aber durch die außerordentliche Höflichkeit der Japaner nie zum Problem wurden. Wir begegneten den verschiedenartigsten Menschen: Leuten mit Nummern auf der Kleidung, wahrscheinlich Mitglieder größerer Gruppen, einem uralten weißhaarigen bärtigen Mann, der sich wohl täglich nur von Station zu Station weiterarbeitete, oder Schwarzhäutige mit japanischen Fahnen in der Hand. Einmal begegneten wir einem Mann, der seinen Hund, einen Collie, geschultert hatte, sicher um dessen strapazierte Pfoten zu schonen. Viele Aufsteigende hatten sich einen hölzernen langen sechskantigen Wanderstock gekauft, um darauf bei den verschieden Bergstationen unterwegs Brandstempel zu sammeln. Meist waren kleine Schellen an diesen Stöcken befestigt, die dann unterwegs an einem Torii oder am Gipfel nebst kleinen Münzen gespendet bzw. geopfert wurden.
   Am Berg gibt es keine Weiden oder Almen, eigentlich überhaupt kein Gras. In den unteren Regionen findet man noch ein grünes Kraut, weiter oben ist alles nur noch schwarzes, poröses Material, zum Gipfel hin ins rötliche gehend.
   Wie geplant, erreichten wir am späten Nachmittag den Gipfelbereich, es trennten uns vom Gipfel selbst nur noch 150 Höhenmeter. An der 9. Station baten wir um ei-nen Liegeplatz in der Hütte und, da wir früh aufgebrochen waren, erhielten wir auch drei Plätze. Etwas später Kommende mußten teilweise draußen nächtigen. Ein Quartier in dieser Höhe ist nicht ganz billig. Man verlangt umgerechnet ca.100 DM pro Person im Massenquartier nach Landessitte auf Tatamis (Reisstrohmatten) über dem Holzfußboden, mit Steppdecke und kleinem, weiß bezogenem, hartem Kopfkissen, doch dem müden Wanderer ist alles recht. Um uns als Ausländer und Deutsche, speziell wohl auch wegen unserer kleinen Tochter, kümmerten sich die Schlafnach-barn besonders, indem sie uns verschiedene exotische Proviantstücke und Wärmebeutel schenkten.
   Von der 9. Station hatte man bei Abendsonne eine hervorragende Aussicht. Durch leicht mit Wolken versetzte klare Luft konnte man weit über die Insel, Küstenbereiche und das Meer sehen. Die Temperatur war nun erträglich und sank schnell ab. Kurz vor Sonnenuntergang sah man den Fuji nochmals als beeindruckendes, weit in die östliche Ebene geworfenes Schattenbild. Als die Nacht dann hereinbrach, schauten wir noch einmal hinunter ins Land und sahen in der Ebene ein einziges großes Lichtermeer. Besonders hell leuchteten Stadteile von Tokyo herauf, die am östlichen Rand des Kegels noch zu sehen waren. Die Temperatur, die unten im Land kaum unter 30° sank, lag jetzt hier bei wenigen Grad über Null. Die nur für diesen Zweck mitgebrachten warmen Sachen waren nun recht angenehm und nützlich.
Nachts um drei wurden alle Schlafenden geweckt. Aufbruch. Nach kurzem Frühstück ging es hinaus in die kalte Luft und was wir nun sahen, war kaum zu glauben: Ein riesiger Menschenstrom mit Stirn- und Taschenlampen floss förmlich wie Lava den Berg hinauf. Ich habe noch nicht erwähnt, dass im Land der aufgehenden Sonne eines der höchsten Natur- und wahrscheinlich auch religiösen Erlebnisse der Sonnenaufgang auf dem Fuji – san ist.
   Auch wir beeilten uns mit den Japanern, rechtzeitig hinauf zu gelangen und kamen auch pünktlich an. Eine Höhe von 3776 m war erreicht. Hunderte von Leuten standen und schauten ehrfurchtsvoll an den roten Horizont. Als die Sonne dann erschien, fo-tografierten alle gleichzeitig, die Sonne und sich gegeneinander. Ein Priester des Gipfelschreins schlug mit großer Würde einen Gong an, und die Landesflagge mit dem roten Punkt auf weißer Fläche wurde gehißt (,wobei aber niemand stramm stand).  Vor dem Shinto - Schrein auf dem Gipfel ließen wir uns auch aufs Foto bannen. Ich selbst lief noch eine halbe Stunde um den Gipfelkrater, worin es aber nicht mehr brodelt, der Vulkan war das letzte mal 1707 aktiv. Wir genossen noch eine wenig die phantastische Weitsicht über die Kanto - Ebene und Küste des pazifischen Ozeans, bevor wir gemächlich wieder abstiegen, nun entgegen dem Strom der Aufsteigenden, und uns in der Mittagsglut wiederfanden. Der Fuji – san stand mit einem weißen Wolkenring umgeben, ungerührt der vielen ihn bekrabbelnden Ameisen.

Hella und Edgar Nönnig, Oktober 1999

links Monatsbilder vom Fuji:
       Fuji  live camera